„Wer sein Land verlässt, der sehnt sich nur nach Sicherheit!“

Wir, das gesellschaftswissenschaftliches Profil mit dem Profilfach Wirtschaft/Politik der 13. Klasse, haben uns im dritten Schulhalbjahr der Qualifikationsphase ausgiebig mit der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik beschäftigt und im Speziellen mit dem Syrienkrieg. Dieser große Konflikt und seine Ausmaße waren uns aus Schulbüchern und den Nachrichten bekannt, doch wir sind sehr dankbar dafür, in einer Gesprächsrunde von zwei Geflüchteten einen exemplarischen Einblick in die Realität bekommen zu haben.

Omar und Ali sind seit 2015 in Deutschland und flohen, weil es für sie in ihrer Heimat keine Zukunft mehr gab. Omar ist 28 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Syriens Hauptstadt Damaskus, wo er Mechatronik studiert hat. Er floh zusammen mit seinem Bruder nach Deutschland, wobei sie finanziell von ihrem Onkel unterstützt wurden. Ali ist ebenfalls 28, kommt aus Daraa und studierte Schauspiel. Er sollte vom Militär eingezogen werden, doch da die Möglichkeit bestand, dass er dadurch seinen eigenen Freunden gegenüberstehen könnte, versteckte er sich. Er hatte nie vor sein Land zu verlassen, doch ihm wurde schnell bewusst, dass, wenn er nicht flieht, er eines Tages gegen seine Freunde, die teils auf Seiten von Rebellen oder anderen Gruppierungen standen, kämpfen müsste.  Drei Jahre lang arbeitete und lebte er in einem Restaurant, um genug Geld für seine Flucht zu sparen.

In ihrer Heimat Syrien kam es in Daraa zu Verhaftungen von Kindern/ Jugendlichen, nachdem sie regimekritische Sprüche an Wände geschrieben hatten. Das hatten wir auch gelernt. Was wir allerdings nicht wussten: Die Polizei wollte die Kinder nur im Tausch gegen Frauen freilassen. Als es zu einer großen Demonstration kam (ca. 15.000 Demonstranten), wurde auch auf Ali, der mitdemonstrierte, geschossen. Wenn man so etwas von jemandem hört, der einem gegenübersitzt, ist man sprachlos. In diesen Momenten saßen wir mit Omar und Ali im Kreis und schauten zu Boden. Die zwei lächelten leicht und nach einem kurzen Moment des Schweigens erzählten sie weiter.

Man hat in Syrien keine Meinungsfreiheit mehr, erzählten sie uns. Das war auch schon vor dem Krieg so. Wenn man etwas gegen die Regierung gesagt hat, konnte man sich nicht sicher sein, wieder heil nach Hause zu kommen. „Nutzt diese Freiheit!“, betonte Ali. Hier in Deutschland haben wir so viele Freiheiten und das müssen wir uns ins Bewusstsein rufen.  Man könne in Syrien vieles machen, aber man müsse die Regierung und regierungstreue Organisationen umgehen, ansonsten gebe es Schwierigkeiten. Omar wurde beispielsweise bei einer Demonstration festgenommen, wie viele andere auch. Er musste für ein halbes Jahr ins Gefängnis – für uns in Deutschland undenkbar.

Wie die meisten Syrier dachten auch Omar und Ali nie darüber nach ihr Land zu verlassen, bis es für sie keinen anderen Ausweg mehr zu geben schien. Omar brauchte 22 Tage, um über die Balkanroute nach Deutschland zu gelangen. 5.000 Euro kostete die Flucht mit dem Bus, Schiff und Schlepper. Den Schlepper organisieren sich viele Flüchtende über Facebookgruppen, so erzählten sie uns.

Ali bekam dank seines Bruders gefälschte Papiere und er wusste, wenn er jetzt nicht flieht, würde es bald zu spät sein. Denn sobald er entdeckt würde, könnte er vom Militär eingezogen werden. Insgesamt gab er 3.500 Euro für die Flucht aus und brauchte 37 Tage. Allein das Flugticket aus der Türkei kostete ihn bereits 900 Euro. Er erzählte uns, dass er auf einem der zahlreichen Flüchtlingsboote gewesen sei. 58 Menschen auf einem Boot: „Ich dachte jeden Moment, ich muss sterben.“

Eigentlich wollte er bis nach England fliehen, aber in Hamburg ging ihm das Geld aus, da er auf der Flucht in Mazedonien ausgeraubt wurde. Aber nicht nur die Gefahr ausgeraubt zu werden erschwerte die Flucht. Kaum denkbar, was das für eine psychische Belastung ist.

Sowohl Alis als auch Omars Familie sind zum Großteil immer noch in Syrien und die beiden jungen Männer unterstützen sie in regelmäßigen Abständen mit Geld.

Jetzt, wo die beiden in Deutschland sind, ist ihnen bewusst: In ihre Heimat können sie nicht zurück. Erst wenn es eine neue Regierung gibt, könnte es eine Hoffnung geben. Aber auch sie haben keine Idee, wie eine Verbesserung in Syrien konkret aussehen könne bzw. umzusetzen sei.

Omars Familie fühlt sich zwar sicher in Syrien, benötigt allerdings seine finanzielle Unterstützung, weil die Lebensmittel immer teurer werden. Alle drei Monate schickt er ihnen 200 Euro. Das klingt für uns vielleicht nicht viel, hilft der Familie aber sehr. Denn in Syrien gibt es keinen Mindestlohn und die Menschen arbeiten teilweise für 120 Euro im Monat.

Und wie ist das Leben in Deutschland für die beiden jungen Männer?

Omar musste sich zunächst für 1,5 Monate mit 50 Leuten einen Raum teilen, bevor er für ein Jahr mit fünf weiteren Flüchtlingen zusammenwohnte. Jetzt hat er endlich seine eigene Wohnung in Hamburg-Wandsbek. Ali hatte da schneller Glück: Er wohnt schon seit Längerem bei einer deutschen Familie. Beide schlossen im April 2017 ihren Integrationskurs (Sprachniveau B1) ab. Beruflich konnten sie auch bereits Fuß fassen: Ali hat sein Schauspielstudium, welches er schon parallel zum Kurs begann, im Sommer 2019 abgeschlossen und spielt derzeit in einem Stück am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Omar beendet im Sommer 2020 seine Ausbildung zum Mechatroniker für Kälte- und Klimatechnik.

Mittlerweile sind also beide gut in Deutschland angekommen und sie sind dankbar, dass sie so viel Unterstützung erfahren durften. Nicht zuletzt auch vom Jobcenter, von dem wir doch eher negative Schlagzeilen wahrnehmen. Omar fährt gerne Rennrad oder kocht für seinen deutschen Nachbarn. Ali trainiert Kinder im Trendsport Parkour, womit er selbst auch viel Zeit verbringt. Im Vergleich zu Syrien fiel ihnen die gute Infrastruktur auf und sie waren überrascht von der schönen Landschaft. Beide haben sich ihr Leben hier aufgebaut, aber die Hoffnung, dass sie irgendwann zurück in ihre Heimat können, bleibt.

Wir danken unserer Lehrerin Frau Puppel, die uns dieses Gespräch ermöglicht hat, und natürlich Omar und Ali für diese offene und persönliche Gesprächsrunde, aus der wir viel mitgenommen haben.

Man denkt immer nur an das, was man nicht hat, aber vielleicht sollten wir auch einmal dankbar für das sein, was wir haben.

                                                                                                        Maria Jaquet-Hasselblatt, Kl. 13a